Texte rund um die Hebammenarbeit | Übers Beraten
Karin Müller, Hebamme
Das Hebammenzentrum hat gerade 35 Jahre Familienberatungsstelle gefeiert – aus diesem Anlass haben wir versucht zu verschriftlichen, was wir da eigentlich tun beim Beraten.
Das Hebammenzentrum bietet kostenlose Beratungen durch verschiedene Berufsgruppen für Frauen, Männer und Familien vor und während der Schwangerschaft sowie im ganzen ersten Lebensjahr und teilweise auch darüber hinaus an. Wir möchten damit ganz niederschwellig Unterstützung im Prozess des Elternwerdens zu Verfügung stellen, bestärken, Orientierung geben, Ängste anschauen, helfen, eigene Entscheidungen und Wege zu finden oder das eigene Erleben einzuordnen.
Was machen wir da eigentlich beim Beraten?
Zuerst einmal willkommen heißen, den Platz wählen lassen, nochmal den zeitlichen Rahmen klären, für Trinken (und Spielzeug) sorgen. Die Frau ist vermutlich nervös, ganz sicher, sie kann sich oft nicht vorstellen, was sie erwartet, ich will einen Rahmen schaffen, in dem sie sich eingeladen fühlt zu erzählen. Ich bin auch etwas nervös, bei jeder einzelnen Beratung, auch mir ist die Frau noch fremd, das erhöht auch meine Aufmerksamkeit für sie.
Zuhören. Ich möchte zuerst einmal verstehen, wo die Frau/der Mann/die Familie steht. Antworten auch, ja natürlich, aber manchmal erst später. Wenn gleich viel erzählt wird – sehr gut, wenn nicht – oft zuerst ganz viel fragen, fragen, fragen. Vorm Antworten hilft es mir, ein Bild zu haben, wo die Person steht, wo die Themen herkommen. Was ist der Hintergrund der Frage? Sie war immerhin so wichtig, dass sie es in die Beratung, auf den Fragezettel (heute meist digital) geschafft hat. Das scheint mir, neben dem Zeitangebot, einer der großen Unterschiede zu anderen Beratungssituationen (Ärztin, Ambulanz...) zu sein. Nicht selten finden Frauen nur durch mein Fragen zu ihren eigenen Antworten.
Kurze konkrete Fragen können natürlich auch kurz und konkret beantwortet werden.
Erklären. Zum Beispiel das österreichische Gesundheitswesen, wie eine Geburt beginnen und ablaufen kann, Entwicklungsphasen des Kindes und vieles mehr. Infos, die der Frau helfen, ihr Erleben einzuordnen.
Fragen zurückgeben. Wenn die Frau / die Familie nur ganz allein die Antwort wissen kann, weil nicht wichtig ist, was die Statistik sagt, sondern was ihnen ihr Kind zeigt.
Vernetzen. Angebote vorstellen, eventuell auch anbieten, den Kontakt für die Frau herzustellen.
Auch Themen ansprechen, die der Frau in dem Zusammenhang nicht bewusst wären, weil wir aus der Erfahrung wissen, dass sie – oft auch sehr lange – wo hineinspielen können.
Vom Kopf in den Körper zu bringen versuchen. Wenn Entscheidungen an- oder Ereignisse bevorstehen, die mit dem Kopf allein nicht getroffen oder bewältigt werden können.
Ambivalenzen benennen und stehen lassen.
Irritieren oder Desillusionieren. Ja auch das gelegentlich. Wenn jemand das Kommende allzu rosig sieht, oder man das Gefühl hat, das kann sich so einfach nicht ausgehen, weil die Ansprüche zu hoch sind. Nicht schwarzmalen, aber ein realistisches Bild zeichnen.
Nachfragen. Zusammenfassen.
Was tun wir noch beim Beraten?
Eigene »Eingebungen« aufgreifen. Manchmal stimmen sie, manchmal nicht.
Sagen, was ich tue, z.B. dass ich ihr die Frage jetzt zurückgebe.
Manchmal den Raum verlassen, nicht nur um Broschüren oder Anschauungsmaterial zu holen. Auch, um ganz kurz auszusteigen und aus dem kleinen Abstand eine andere Perspektive finden zu können.
Den Partner/die Partnerin mit hereinholen, auch wenn er/sie physisch nicht anwesend ist.
Mich selbst beobachten. Meine Sitzposition, die Formulierungen, die ich verwende,…
Mich manchmal auch inkompetent fühlen. Ich habe gelernt, dass ich nicht alles zu wissen brauche, ich darf sagen, ich werde mich schlaumachen!
Mich überraschen lassen. Bei jeder Beratung wieder, wo führt sie mich hin, oft ganz weit weg vom ursprünglichen Anliegen und tief hinein ins dahinterliegende Thema, wenn es die Familie zulassen möchte.
Was tun wir nicht beim Beraten?
Entscheidungen abnehmen. Auch wenn die, die zu uns kommen, sich das manchmal sehr wünschen würden. Ich stecke nicht in ihrer Haut, sie müssen mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung leben können.
Werten.
Direktiv sein. Das machen wir nur, wenn es uns wirklich sinnvoll erscheint.
Auf diese Art beraten wir Sie, mit hoher Aufmerksamkeit, zu den Themen Schwangerschaft, Geburt, Kinderwunsch, Wochenbett, Ernährung, Stillen, Babyschlaf, Säuglingspflege, Beikost, Unsicherheiten im Elternsein, Abstillen etc., wirklich sehr gerne, oft gelingt es uns auch ziemlich zeitnah. Wir bitten um telefonische Terminvereinbarung.
»Professionelle Grundhaltung:
Grundhaltung des Nichtwissens, Nichtverstehens, Eingebundenseins (Balance zwischen distanzierter Beobachtung und aktivem Mitwirken) und Vertrauens (die positive Veränderung der Klient*in geschieht primär durch diese selbst).
Weiterhin: Allparteilichkeit, Neutralität, Unvoreingenommenheit, Neugier, Wertschätzung gegenüber Personen, Respektlosigkeit gegenüber Ideen, Kontextsensibilität und Gender-Sensitivity.«
Goethe Universität Frankfurt am Main